Wie ist es um die Vogelwelt in Deutschland bestellt? Um das herauszufinden, haben Vogelfreunde sich ganz früh aufgemacht und Arten gezählt.

Vögel im Blick: Ross Duthie (rechts), Petra und Wolfgang Pahl bilden ein Team beim Birdrace. Foto: Julia Moras

HAZ 06.05.2024

Von Andrea Hempen

(PP) Es ist ein Wettkampf – ohne Pokal am Ende. Wer zählt die meisten Vogelarten beim sogenannten Birdrace? Immer am ersten Mai machen sich in der ganzen Republik Vogelfreunde auf den Weg und zählen die Vögel, die sie sehen oder hören. Damit macht der Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) auf die bedrohte Vielfalt der heimischen Vogelwelt aufmerksam. Durch die Festlegung von Beobachtungsgebieten wird festgestellt, ob Arten verschwunden oder neu aufgetaucht sind. Der DDA ist ein gemeinnütziger Zusammenschluss aller landesweiten oder regionalen ornithologischen Verbände in der Bundesrepublik Deutschland. Im Kreis Hildesheim sind am Sonnabend zwei Teams des Ornithologischen Vereins zu Hildesheim an den Start gegangen.

„Bleibt mal stehen“, sagt Petra Pahl zu ihrem Mann Wolfgang und Ross Duthie. Das Trio lauscht. „Heckenbraunelle, Zilpzalp, Amsel und irgendwo ist eine Taube losgeflogen“, sagt Petra Pahl und strahlt. Ihr Mann ergänzt: „Da, ein Grünspecht.“ Die Mitglieder des Ornithologischen Vereins zu Hildesheim haben die Vögel nicht gesehen, nur gehört. „Der Trick ist, einfach mal stehen zu bleiben und zu lauschen“, sagt Petra Pahl. An der Innerste bei Heinde gibt es wirklich viel zu hören, sogar ein Kuckuck meldet sich zu Wort.

Seit vier Uhr in der Früh sind die Drei schon unterwegs, alle in unterschiedlichen Gebieten, nur für das Pressegespräch haben sie sich an der Mühle bei Heinde eingefunden. Jeder mit einem Fernglas um den Hals und Meldebögen für die verschiedenen Vögel sowie Bestimmungsbücher in der Tasche.

Duthie ist mit dem Rad unterwegs, die Pahls ziehen einen Bollerwagen hinter sich her. Ihr Team nennt sich die Hildesheimer Börde Birder, das zweite trägt den Namen Hildesheimer Rosen Stare. „Ich könnte jede Woche Birdrace machen“, sagt Duthie begeistert. Aber auch ohne Wettstreit ist der Mann aus dem Vorholz viel in der Natur unterwegs, weiß, wo Nilgänse oder Grünspechte zu entdecken sind. An diesem Morgen hat er sich über eine Dorngrasmücke, einen Neuntöter und einen Mauersegler gefreut.

Der Ruf der Waldschnepfe

Petra Pahl ist begeistert, dass sie gegen vier Uhr im Hildesheimer Wald bei Diekholzen einen Waldkauz hörte. Und eine Waldschnepfe, etwas ganz Besonderes, wie sie sagt. Genau wie der Kleinspecht, den sie ebenfalls nur hörte. Wolfgang Pahl lauschte dem Gesang von sechs Nachtigallen und zählte vier Kuckucke rufen. „Gleich sehen wir die Wasseramsel“, kündigt Pahl an und geht zum Flussufer. Doch der Anblick dieses Vogels ist ihm heute nicht vergönnt, dafür sieht er einen Uferläufer an der Heinder Mühle. Der Spaß an der Aktion ist das eine, aber das Ganze hat auch einen großen Nutzen. Denn durch den Einsatz der Ehrenamtlichen kommt heraus, welche der 150 für den Landkreis typischen Arten hier noch leben. „410 Vogelarten gibt es in der Bundesrepublik, da sieht man schon die Differenz“, sagt Pahl. Im vergangenen Jahr zählte eine Gruppe 112 Arten, die andere kam auf 117. Wie viele es in diesem Jahr sein werden? Bis Mitternacht sind die Teams noch zum Zählen unterwegs.

Zahlen sind auch nützlich

Alistair Hill, Vorsitzender des Ornithologischen Vereins zu Hildesheim, wird die Meldungen am Sonntag übertragen und an den Verband schicken. Auch die Unteren Naturschutzbehörden von Stadt und Kreis bekommen die Zahlen. „Die begrüßen unsere Informationen, denn die sind wichtig für beide Seiten“, sagt Duthie. Wichtig etwa sind die Kenntnisse beim Thema Windkraft. Stadt und Kreis müssen keine Sachverständigen beauftragen, um zu erfahren, welche Vögel in dem betreffenden Gebiet leben.

Die Veränderung der Vogelwelt haben die Fachleute im Blick. In den 1990er Jahren, so Pahl, seien noch tausende Kiebitze in einem Zug gemeldet worden, nun sind es vielleicht noch 200. „Beim Real in Hildesheim hatte eine Haubenlerche gebrütet. Sie ist jetzt weg und damit ist der Bestand tot“, berichtet Pahl. Nicht die einzige Art und sicher nicht die letzte, die verschwinden wird. Pahl sorgt sich um Hausperlinge und Schwalben, deren Nistplätze unter Dächern und an Häusern durch Haussanierungen verloren gehen. „Aber die Sanierungen müssen sein. Es ist halt ein Spagat“, sagt der Mann, der schon seit Kindertagen Mitglied im OVH ist.

Rebhühner bei Bettmar

Große Freude indes, wenn plötzlich Vogelarten wieder auftauchen, wie etwa bei Bettmar das Rebhuhn. Das sehen sie am Innersteradweg bei Heinde freilich nicht. Aber sie entdecken Mittelsäger auf dem Mühlenteich, wachsame Kormorane im Baumwipfel, Reiherenten, Uferläufer und vieles mehr. Bei all der Sorge um die Vogelbestände genießen es die Ehrenamtlichen, diese besonderen Exemplare zu sehen oder zu hören. Um die Vögel mit den Ohren zu erkennen, braucht es sehr viel Erfahrung und Training. „Am besten zieht man mit einem weisen Vereinsmitglied los, das sein Wissen gerne weitergibt“, rät Pahl. Das können übrigens auch Nichtmitglieder in Anspruch nehmen. Wer weiß, vielleicht bekommen die Hildesheimer Ornithologen dann nächstes Jahr Verstärkung beim Zählen.